Projekt „Spinne“

Aus im Buch „Im Auftrag der SED“ nachzulesenden Gründen wurde 1952 vom Ministerium des Innern als verantwortliche Hülle für die Geschicke der KVP entschieden, ein leis­tungs­fähiges und schnell errichtbares Nachrichtennetz unter Verwendung von moderner Richtfunktechnik aus heimischer Produktion aufzubauen. Im April 1952 wurde mit der Planung eines Richtfunknetzwerkes, das anfangs allerdings nur aus einzelnen Richtfunkstrecken bestand, begonnen. Nach Fertigstellung sollte dieses von Nachrichtenkräften aus der Struktur der KVP betrieben werden. Mit den Aufgaben betraute man stabsmäßig Nachrichtenspezialisten der KVP unter der Führung von Oberst Georg Reymann, späterer Chef Nachrichten der NVA im Range eines Generalmajors.

Georg Reymann war während des 2. Weltkrieges bereits in der Nachrichtentruppe tätig und mit der Tragweite der zu bewältigenden Materie vertraut. Man suchte daher entsprechend geeignete Standorte für die Richtfunkstationen, kalkulierte die entstehenden Entfernungen und gab im Herbst 1952 als ersten Schritt beim VEB Sachsenwerk (später RAFENA) eine Bestellung über 62 Stück Richtfunkverbindungsgeräte RVG-903, inklusive der notwendigen An­tennen, auf. Die notwendigen Stahlgittermasten wurden unter anderem beim VEB Stahlbau Dessau gefertigt. Das Vorhaben für die KVP wurde anfangs im Bereich der KVP-Luft angesiedelt.

Der Deckname dieses Projektes war „SPINNE“.

Auch der Gegner wusste schon sehr früh von den Planungen zur Errichtung eines Dezimeternetzes. In Überwachungsberichten der CIA von 1952 ist von:

„…so called SPINNE-Network…“ die Rede. (1)

Es ist ein Dokument des ehemaligen Hauptstabes der HVA aus 1959 bekannt, in welchem auf eine „Maßnahme SPINNE“ verwiesen wird.

Das in der Anlage zu diesem Schreiben benannte Dokument ist datiert aus dem Jahr 1956. In jenem wiederum wird auf eine Planung aus dem Jahr 1952 Bezug genommen. Darin beschreibt man einen frühen Planungsentwurf zur Wiedernutzbarmachung eines gegen Ende des 2. Weltkrieges gebauten Nachrichtenbunkers des SS-Führungshauptamtes in den Rauener Bergen.

Als erste Strecken im neuen „SPINNE-Netzwerk“ waren die Linien Berlin – Frankfurt – Cottbus – Dresden – Karl-Marx-Stadt – Leipzig, Berlin – Halle sowie Magdeburg – Halle – Erfurt – Suhl – Gera einsatzbereit und wurden am 1. April 1954 in Betrieb genommen.

Bereits ab Juli 1953 gab es jedoch von Seiten der SED massive Anstrengungen, das komplette Netz schnellstmöglich unter alleinige Kontrolle zu bringen und das MdI aus dem Aufbau und den weiteren Planungen zur Erweiterung des Netzes herauszuhalten. Die im nächsten Kapitel dargelegten Gründe dafür lassen diesen Entschluss als den einzig richtigen aus Sicht der SED erscheinen. Inzwischen war jedoch der Bau weiterer Stationen für das später ringförmig angelegte Netz u.a. an folgenden Standorten im Gange:

Pimpinellenberg bei Oderberg, Feldberg, Neubrandenburg, Rostock, Alt-Poorstorf, südlich von Erfurt, Halle–Petersberg, Dolle, Retzow, Schönebeck, Rehberg, Ruhner Berge und weitere. Bereits seit März 1954 war die Strecke von Dresden bis nach Frankfurt/Oder betriebsbereit. An den meisten Standorten befanden sich damals bis zu 80m hohe Stahlgittermasten. Vereinzelt waren aber auch, wie in Dolle, Holztürme im Einsatz. Die Technik an den Standorten war vereinzelt auch noch in Fahrzeugen un­ter­gebracht, teilweise aber auch schon in gemauerten Baracken neben dem Mast. Es wurden auch Türme aus Wehrmachtszeiten nachgenutzt oder Aussichtstürme umgebaut. Es gab, wie z.B in Schwerin, auch Stationen auf hohen Wassertürmen. Im Raum Thüringen wurden zunächst mobile Teststrecken entfaltet, um die topografischen Besonderheiten von Richtfunkstrecken im Bergland experimentell zu bestimmen. Aufklärungsberichte der CIA geben detailliert darüber Auskunft, wann und wo neue Richtfunkmasten gesichtet wurden, bzw. wann diese aus dem Blickfeld der Agenten verschwunden waren. Am 1. Mai 1954 folgte die Inbetriebnahme der Strecke von Rostock – Schwerin – Magdeburg und am 15.Mai die Strecke von Frankfurt/O. – Neubrandenburg – Rostock. Damit war das Ringnetz komplett in Betrieb.

Die SED und die KVP, unter dem Deckmantel des MdI, teilten sich in den Jahren 1952 bis 1954 die Aufgaben zum Aufbau des sog. SPINNE-(Dezimeter)Netzwerkes in gegenseitigem Interesse. Die Ausdehnung und die notwendige Vermaschung des Gesamtnetzwerkes des Netzes waren jedoch bei weitem noch nicht ausreichend, um wirklich jeden Winkel der DDR richtfunktechnisch erreichen zu können.

Nach Niederschlagung der Proteste 1953 begann man mit der Analyse der Vorfälle und man kam u.a. zu dem Schluss, dass eine derartig einseitige Abhängigkeit der Partei- und Staatsführung, aber auch der wirt­schafts­leitenden Organe, vom öffentlichen Telefonnetz der Post kein haltbarer Zustand sein könne und dürfe. Es wur­den verschiedene Maßnahmen beschlossen.

Eine davon war die Schaffung eines in weiten Strecken von den wenig leistungsfähigen Leitungswegen der Deutschen Post unabhängigen Nachrichtensystems. Mit Politbürobeschluss vom 16.08.1955 wurde festgelegt, das Richtfunknetz des Projektes Spinne daher weiter auszubauen, zu vervollkommnen und unabhängig von der KVP zu betreiben. Dies war geschichtlich die eigentliche Geburtsstunde des RFN unter dieser Bezeichnung.
Die oft zu lesende Behauptung, dass das Richtfunknetz der SED als Konsequenz der Ereignisse des 17.Juni 1953 errichtet wurde, ist daher nicht korrekt und Ergebnis einer nur oberflächlichen Betrachtung der Zusammenhänge. Einige sog. „Spezialisten“ beharren jedoch weiterhin felsenfest auf dieser Aussage. Auch durch das kontinuierliche Wiederholen falscher Aussagen werden diese jedoch nicht richtiger. Nur die Bezeichnung „Richtfunknetz“ als Name für die Dezimeter-Nachrichtenanlage des ZK entstand 1955. Der nachfolgende Dokumentenauszug aus Unterlagen der Abteilung Fernmeldewesen beim ZK der SED gibt dazu Auskunft aus erster Hand.